Versorgung sichern in der Halbleiterkrise

Die Automobilindustrie stand aufgrund des weltweiten Halbleitermangels, der im Jahr 2020 einsetzte, vor noch nie dagewesenen Herausforderungen. Jeder weiß, dass Halbleiter das Rückgrat moderner Fahrzeuge sind und alles steuern, von der Motorleistung bis zu Infotainmentsystemen. Gleichzeitig werden Halbleiter aber auch in Produktionsanlagen eingesetzt. Wenn man keine Fertigungsstraße einrichten kann, kann man auch kein Auto bauen.

Überblick

Unser Kunde, ein großer Automobilhersteller, stand genau vor diesen und anderen Herausforderungen. Die gestiegene Nachfrage nach Halbleitern ließ die Preise in die Höhe schnellen, was zu Budgetüberschreitungen im Anlagenbau führte. Vor allem aber konnten die Generalunternehmer aufgrund von Verzögerungen in der Halbleiterproduktion keine rechtzeitige Lieferung der Anlagen garantieren.

Während die bestehenden Produktionslinien mit dem vorhandenen Material aufrechterhalten werden konnten, waren weltweit geplante Anlagenprojekte – und damit auch die Markteinführung neuer Fahrzeuge – in Gefahr. In Zeiten, in denen die Markteinführung neuer Modelle aufgrund der Umstellung von Verbrennungsmotoren auf Elektrofahrzeuge von entscheidender Bedeutung ist, war eine Verschiebung der Einführungstermine keine Option.

Ziele

Mit unserem Projekt verfolgten wir die folgenden Ziele:

  • Sicherstellung der Installation von kritischen Anlagen, insbesondere für den Anlauf von Elektrofahrzeugen,
  • Entwicklung eines Informationssystems, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können,
  • Leitung eines Kontrollzentrums, um Entscheidungen zwischen allen Technologien und Stakeholdern abzustimmen,
  • Steuerung von Lieferanten und Generalunternehmen, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen.

Vorgehensweise und Ergebnis

Als wir mit dem Projekt begannen, befand sich unser Kunde bereits halb im Krisenmodus aufgrund einer bevorstehenden Produktionsunterbrechnung, in der viele Technologien aufgerüstet und neu aufgebaut werden mussten. Daher bestand ein erster Schritt für uns darin, Transparenz zu schaffen und die Kontrolle über den Prozess für die Entscheidungsträger unseres Kunden wiederherzustellen.

Verbesserung der Datentransparenz mit einer zentralisierten Datenbank und PowerBI-Reporting

In einem ersten Schritt war es wichtig, in nahezu Echtzeit Sichtbarkeit über alle relevanten Daten und Lieferketteninformationen zu schaffen. Wir implementierten ein robustes Datenbanksystem, das Daten aus verschiedenen Quellen, darunter Lieferanten, Generalunternehmer, Technologieprojekte und verfügbare Bestände, zusammenfasste. Auf diese Weise konnten wir die Verfügbarkeit wichtiger Komponenten überwachen, den Fortschritt von Technologieprojekten verfolgen, historische Verbrauchsmuster analysieren und den zukünftigen Verbrauch und Komponentenbedarf prognostizieren.

Was sich einfach anhört, stellt in der Regel eine der größten Herausforderungen bei Big-Data-Projekten dar: Unterschiedliche Daten aus verschiedenen Quellen – sogar aus verschiedenen Unternehmen – so zusammenzuführen, dass sie in einem gemeinsamen Bericht landen, erfordert einen hohen Aufwand an Schnittstellenmanagement, Formatanpassung und Interpretation von auf den ersten Blick identischen Daten.

Einrichtung eines Kontrollzentrums für die Steuerung

Wir haben die Komplexität unserer Lieferkette erkannt und ein eigenes Kontrollzentrum eingerichtet. Dieses Zentrum diente als Dreh- und Angelpunkt für das gesamte Liefernetzwerk und erleichterte die nahtlose Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Lieferanten, Auftragnehmern und dem Kunden. Das Kontrollzentrum überwachte den Status kritischer Komponenten, die Zeitpläne der Technologieprojekte und alle aufkommenden Probleme nahezu in Echtzeit und ermöglichte so eine schnelle Reaktion auf Unterbrechungen.

Identifikation alternativer Bezugsquellen

Um das mit der übermäßigen Abhängigkeit von den bestehenden Lieferanten verbundene Risiko zu mindern, entwickelten wir alternative Handlungsoptionen. Vom Lieferantenwechsel über die Wiederverwendung veralteter Teile und die Verwendung von Wartungsteilen bis hin zur Neupriorisierung von Projekten wurden alle Optionen diskutiert. Am Ende wurden fast alle Optionen mehr oder weniger stark genutzt. Eine offensichtliche Lösung – die Beschaffung von Komponenten von anderen Lieferanten – erwies sich als die unpraktischste. Die Integration von Komponenten in einen komplexen Standard ist keine kurzfristige Lösung, sondern erfordert umfangreiche Test- und Freigabeverfahren, für die in unserem Projekt kaum Zeit war.

Erstellung von Prioritätenlisten für Technologieprojekte

Als letzten Ausweg haben wir eine Option vorbereitet, die niemand wirklich wollte: Die Neupriorisierung von Projekten. Innerhalb unseres funktionsübergreifenden Teams luden wir alle Vertreter der Bereiche Technik und Einkauf sowie die Leiter des Fahrzeuganlaufs ein, um zu diskutieren, welche Projekte verschoben und welche priorisiert werden sollten. Gemeinsam entwickelten wir eine Reihe klarer Priorisierungskriterien, die die Auswirkungen der einzelnen Projekte auf die Kerntätigkeiten unseres Kunden berücksichtigten. Dank dieses Rahmens konnten wir unsere begrenzten Halbleiterressourcen den Projekten mit dem höchsten strategischen Wert zuweisen.

Glücklicherweise konnten wir größere Neupriorisierungen vermeiden; kein Fahrzeuganlauf musste verschoben werden und alle strategisch relevanten Projekte konnten umgesetzt werden.

Einrichtung eines externen Lagers für kritische Teile

Als wir erkannten, wie anfällig die Lieferkette während der Halbleiterknappheit war, ergriffen wir den proaktiven Schritt, ein externes Lager für kritische Komponenten einzurichten. Dieses Lager diente als Puffer gegen Lieferunterbrechungen und ermöglichte es uns, wichtige Teile auf Vorrat zu lagern, sobald sie verfügbar waren. Diese strategische Bevorratung half uns, die Projektdurchführung während der gesamten Zeit der Halbleiterknappheit aufrechtzuerhalten.

Diese Initiativen trugen gemeinsam dazu bei, die Halbleiterknappheit zu bewältigen und die Installation von Anlagen sicherzustellen, damit neue Fahrzeuge wie geplant auf den Markt gebracht werden konnten. Durch die Schaffung von Transparenz durch Datenerfassung und -zentralisierung, die Einrichtung eines Kontrollzentrums zur Koordinierung zwischen den verschiedenen Interessengruppen, die Priorisierung von Technologieprojekten, die Diversifizierung unseres Lieferantennetzes und die Einrichtung eines externen Lagers konnten wir Betrieb gemeinsam mit unserem Kunden widerstandsfähiger machen. Mit Hilfe unserer neutral moderierenden Rolle als externe Berater war es uns möglich, die verschiedenen Stakeholder und durchaus stark divergierende Interessen zusammenzubringen. Diese Maßnahmen ermöglichten es uns, die Halbleiterknappheit besser zu bewältigen, Produktionsunterbrechungen zu minimieren und den anhaltenden Erfolg des Unternehmens unseres Kunden sicherzustellen.

In einem nächsten Schritt entwickeln wir nun ein Informationssystem, das dazu beitragen wird, Trends auf operativer Ebene zu prognostizieren, um den Aufwand sowie die Risiken künftiger Lieferengpässe zu vermeiden bzw. zumindest zu reduzieren. Auf diese Weise kann die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette erhöht werden.

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